Ist Corona transformativ?

Manchmal könnte man heute meinen die Natur hätte nun endlich mal die „Schnauze“ voll von uns. „Ich schicke euch jetzt mal das Corona-Virus. Dann bekommt ihr jetzt alle mal eine Auszeit zum Nachdenken und dann hoffe ich, dass ihr die richtigen Schlüsse zieht und endlich handelt! Und damit ihr in die richtige Stimmung kommt, mache ich es noch ein bisschen schön, lasse alles blühen, mach‘ meine Frühlingssonne an…“

Eine schöne, romantische Vorstellung. Alle steigen mal gezwungenermaßen von ihrem Hamsterrad und reflektieren über sich und die Welt, die wir vielleicht gerne hätten. Für einige trifft das tatsächlich zu und sie treffen jetzt Entscheidungen, die ihr Leben maßgeblich verändern, entscheiden das, was sie lange vor sich her getragen haben. Glückwunsch!

Aber bietet Corona wirklich eine Chance zu einem breiten gesellschaftlichen Neuanfang, zum ersehnten „Shift“? Wird die Vision nicht wieder die alten Muster aufzunehmen endlich und schlagartig Wirklichkeit? Haben wir unsere Lektion gelernt?

Die Realität ist etwas profaner, in Wirklichkeit geht jedes der drei hauptsächlichen Meme, die unsere gegenwärtige Gesellschaft bestimmen (geschätzte ca. 15-20 % blaues Mem, 30-40 % ornangenes Mem und 20-30 % grünes Mem), also die Menschen, die wesentlich nach diesen Deutungsmustern über unsere Welt leben und mit und in ihnen denken, für sich ganz unterschiedlich mit Corona um.

Die oben skizzierte Vorstellung ist sicher der tiefe Wunsch des grünen Mems. Transformation now! Das sind z.B. Eltern, die ihre Kinder jetzt neu kennenlernen, sich die Zeit nehmen, viel Spazierengehen und die Auszeit genießen. Kompromisslos die Chance nutzen und den Weg zu Ende gehen! Für sie ist Corona der allerletzte Wink mit dem Zaunpfahl, dass jetzt endlich mit der Bekämpfung des Klimawandels und anderer gesellschaftlicher Entgleisungen begonnen werden muss.

Das orangene Mem macht sich hauptsächlich und nachvollziehbar Sorgen um ihre Existenz, leugnen auch deshalb vielleicht die Gefährlichkeit des Virus‘ und findet die Maßnahmen ein bisschen übertrieben, kämpft frühzeitig um Lockerungen, findet aber auch immer wieder kreative Wege sich anders aufzustellen.

Das blaue Mem ist dagegen damit beschäftigt sich abzuschotten, sich um ihre Lieben zu kümmern. Blau besorgt in Hamsterkäufen Klopapier (als medial legalisierte Prepper), igeln sich damit in ihrer Burg ein und schauen stündlich die Nachrichten aus dem RKI.

Natürlich gibt es da auch jede Menge Zwischentöne. Dazu gehört zum Beispiel die Entscheidung zuerst die Abschlussklassen (also Abiturient*innen und Realsschulabsolvent*innen) wieder in die Schulen zu lassen.

Nein, nicht die, die unserer besonderen Fürsorge bedürfen, für die Home Schooling aus verschiedensten technischen, sozialen oder emotionalen Gründen nichts ist, die Strukturen und Live-Beziehungen brauchen, sind zuerst dran, sondern unsere vermeintlichen Hoffnungsträger. Die Ordnung eines völlig unzeitgemäßen Bewertungssystems muss zuerst und dringend aufrechterhalten werden (und damit auch die Bedeutung der Bürokraten, die es tragen, gewahrt bleiben) und damit die längst in Auflösung befindlichen Prinzipien unserer spätindustriellen Leistungsgesellschaft. (Irgendwas Ungutes zwischen rot, blau und orange.)

Und Lehrer*innen und Lehrer sind diejenigen, die zu diesem „Maskenball“ antreten sollen. Es scheint ziemlich sicher zu sein, dass unsere Welt untergeht, wenn unsere Schulabsolvent*innen mal ein paar Wochen nicht in die Schule gehen. Da wird sich schon nach drei Wochen ernsthaft gefragt, wie die Kinder (trotz Online-Beschulung) das denn jemals wieder aufholen sollen? Und das bei einer Nachhaltigkeit der Wissensvermittlung in Schule, die alles andere als effizient ist.

Und wären die Jugendlichen nicht völlig benachteiligt, wenn sie ein Abitur „zweiter Klasse“ hätten, wenn sie es „geschenkt“ bekämen, dabei vergessend, dass sie bereits ca. 90 % ihrer Oberstufenzeit absolviert hatten, bevor das Virus ausbrach. Als wenn sie heute in der Schule in der Regel tatsächlich für das ausgebildet würden, was sie in 10, 20 Jahren in ihrer/unserer Welt erwartet.

Nein, Corona taugt nicht wirklich zur transformativen Pädagog*in. Corona ist nicht dafür geeignet, den großen, notwendigen „Shift“ auf eine neue Bewusstseinsstufe in unserer Gesellschaft zu bewirken.

Angstsysteme waren auch in der Geschichte in dieser Hinsicht nie gute Ratgeber oder besondere evolutionäre Antriebskräfte. Sie führen eher zu autoritäreren Strukturen und konservativeren Denkweisen. Bei allgemeiner Rat- und Mittellosigkeit gegen die Bedrohung neigen die Menschen eher dem zu, der ihnen Lösungen verspricht und vorgibt zu wissen, was zu tun ist.

Aber vielleicht hat die Krise doch auch etwas Gutes, vielleicht werden wir in unserer Gesellschaft etwas wertschätzender mit denen umgehen, die die Last dieser Krise im Wesentlichen tragen, das wäre doch schon etwas!

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