Anthroposophie -Teil 1

Teil 1.1: Wissenschaft der Freiheit – Das bewusste menschliche Handeln 

Ausgangspunkt für Steiners Philosophie der Freiheit ist die Grundfrage, ob der „Mensch in seinem Denken und Handeln“ ein geistig freies Wesen ist. 

Er sieht darin eine der wichtigsten Lebensfragen in Religion, Praxis und auch in der Wissenschaft. 

Gegner einer Freiheitshypothese des Willens vertretene verschiedene Thesen, die Steiner nacheinander darstellt. So z.B. die These, dass der Auswahl aus verschiedenen Handlungsmöglichkeiten immer ein besonderer Grund zugrunde liegt (David Friedrich Strauß, Der alte und der neue Glaube, 1872,  oder auch Herbert Spencer, Die Prinzipien der Psychologie, 1882). Es wird hierbei die Wahlfreiheit des Handelnden in Frage gestellt.  

Steiner geht zurück auf die Theorien Baruch de Spinozas, der den freien Willen durch die Notwendigkeit natürlicher Gesetzmäßigkeit determiniert sieht, unfrei sei dann alles was von „etwas anderem zum Dasein und Wirken […] bestimmt wird.“ Freiheit liegt nach Spinoza nicht im freien Willen, sondern in einer unbegrenzten natürlichen Notwendigkeit. 

Nach Steiner liegt der Grundirrtum Spinozas darin, dass er nicht berücksichtigt, dass dem Menschen nicht nur seine Handlungen bewusst sein können, sondern auch seine Gründe dafür. Er sieht einen tiefgreifenden Unterschied darin, ob „ich weiß, warum ich etwas tue, oder ob das nicht der Fall ist.“ (S. 15) Dieses Wissen um die Beweggründe des Handeln kann nach Steiner nicht gleichbehandelt werden, wie (zwanghafte) Prozesse der grundlegenden Bedürfnisbefriedigung (Beispiel: ein Kind, das nach der Milch der Mutter schreit). 

In einer These Eduard von Hartmanns (Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins, 1878) wird nun als Hauptfaktor für den menschlichen Willen neben den Willensgründen der Charakter einbezogen. Der Charakter eines Menschen löst demnach erst durch die entsprechende Vorstellung ein Begehren aus zum Vollzug einer Handlung. Der Prozess verläuft demnach von innen nach außen. Scheinbar wird die Freiheit des Willen wird hierbei als Unabhängigkeit von äußeren Vorstellungen und damit Beweggründen aufgefasst, wenn die charakterliche Veranlagung nicht zwingend in diesen Prozess eingreifen würde. 

Steiner kritisiert auch hier, dass von Hartmann das mögliche Bewusstsein von den Beweggründen des Handelns nicht von der unbewussten Beweggründen differenziert. 

Eine zentrale Frage ist also zunächst nach dem Unterschied nach dem bewussten Beweggrund und dem unbewussten Antrieb des menschlichen Handelns, um die Frage nach Willensfreiheit beantworten zu können. 

Steiner fragt nun, was es heißt, „ein Wissen von den Gründen seines Handelns zu haben“ (S. 16). Er beklagt die Zweiteilung von Handelnden (z.B. animalische Begierde) und Erkennenden (Herrschaft der Vernunft) , und die Nichtberücksichtigung des aus „Erkenntnis Handelnden“ (S. 16). 

Es greift also zu kurz, Freiheit der Vernunft, d.h. dem Leben und Handeln nach Zwecken und Entschlüssen, unterzuordnen, da auch diese spezifischen Motiven folgen. Steiner zitiert hier Robert Hamerling (Atomistik des Willens, 1891) „Der Mensch kann allerdings tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will, weil sein Wille durch Motive bestimmt ist!“ 

Demnach könnte die Freiheit des Willens nur in einem Willen ohne Grund, ohne Motiv liegen. Das scheint unmöglich zu sein. 

Auch hier stellt Steiner einen möglichen Unterschied von bewussten und unbewussten Motiven heraus, sieht die Ausgangsfrage also nur verschoben auf ein anderes Feld. 

Die weitergehende Frage lautet daher: wie entsteht ein Entschluss im Menschen. In Abgrenzung zu Paul Rée (Die Illusion der Willensfreiheit, 1885), der ein Bewusstsein von den Motiven menschlichen Handelns bestreitet. Nach Rée hätte der Mensch ein grundsätzliches Problem die Ursachen wahrzunehmen, die unser Handeln bestimmen. Dagegen liegt für Steiner zwischen uns, also dem Menschen und der Handlung das „bewusst gewordene Motiv“ (S. 19). 

Steiners Fazit ist nun zunächst, dass „[…] viele gegen die Freiheit [des Willens] kämpfen, ohne zu wissen, was Freiheit überhaupt ist“ (S. 19). 

Das eine Handlung nicht frei sein kann, wenn der Handelnde nicht weiß, warum er handelt, ist für Steiner evident. Also wendet er sich der offenen Frage zu, wie es sich denn mit einer bewusst begründeten Handlung verhält. 

Das führt ihn zwangsläufig zu dem Problem des Ursprungs und der Bedeutung des Denkens, da die Beweggründe des menschlichen Handelns „immer von Gedanken durchsetzt sind. Liebe, Mitleid und Patriotismus sind Triebfedern des Handelns, die sich nicht in kalte Verstandesbegriffe auflösen lassen“ (S.20). 

Für Steiner können die Motive menschlichen Handelns nicht allein als vernunftgesteuert aufgefasst werden, aber Herz und Gemüt schaffen auch nicht allein die Gründe für das Handeln. „Der Weg zum Herzen geht durch den Kopf.“ 

Das Kapitel endet daher mit der Frage nach dem Wesen des menschlichen Handelns, zu deren Beantwortung zunächst der Ursprung des Denkens zu klären ist. 


Teil 1.2: Wissenschaft der Freiheit – Der Grundtrieb zur Wissenschaft 

Mit einem Zitat aus Goethes Faust bezieht Steiner sich zunächst auf einen grundlegenden Charakterzug des Menschen immer mehr zu Wollen als uns die Welt uns freiwillig gibt. Gemeint sind Neugier und Forscherdrang, die immer über die reine Bedürfnisbefriedigung der Lebensgrundlagen hinausreichen. 

Wir sind immer auf der Suche nach Erklärungen und jede Erkenntnis unserer natürlichen Gegebenheiten führt zu unendlichen weiteren Fragen. 

Das Mehr, einen Überschuss, das wir in den Dingen suchen, ist nach Steiner der Grund für eine Zweiteilung des Menschen im Gegensatz von Ich und Welt. 

Indem wir uns diesem Gegensatz bewusst werden, stellen wir uns also als selbständiges Wesen unserer Welt gegenüber, wobei aber gleichzeitig wissen, dass wir Teil dieser Welt, unserer Natur sind. 

Das Spannungsfeld von Gegenüberstellung und gleichzeitiger Zugehörigkeit führt zu dem ständigen Bedürfnis und Bemühen um Einheit zwischen uns und unserer Welt. 

Steiner sieht darin den letztendlichen Grund für alles geistige Streben der Menschheit (vgl. S. 23). Und diese Bestrebungen sieht er in allen Bereichen der Religion, der Kunst und der Wissenschaft. 

Um der Aufgabe aber gerecht zu werden, muss sich aber die wissenschaftliche Forschung sehr viel tiefer graben, als es bisher geschieht. 

Diese Begrenzung der Forschungs- und Erklärungsansätze zeigt er nun zunächst an dem Gegensatz der einheitlichen Weltauffassung und der Zweiweltentheorie  in der Philosophie, also monistischer bzw. dualistischer Erklärungsansätze. 

In dualistischen Ansätzen liegt laut Steiner der Fokus auf der Überbrückung des Gegensatzes von Geist und Materie. Das „Ich“ wird dabei dem geistigen Feld zugerechnet, der die materielle Welt („Leib“) gegenübersteht. Die Wirkzusammenhänge von Geist und Materie können aber in dieser Gegenüberstellung nicht ausreichend begriffen werden. 

In monistischen Ansätzen kommt es zu einer Leugnung bzw. Verwischung der Gegenüberstellung von „Ich“ und Welt. Die Leugnung des Geistes zeigt sich im Materialismus, die Leugnung der Materie im Spiritualismus. Eine dritte Variante sieht zwei gleichzeitige Daseinsweisen des Menschen, da ja Geist und Materie im einfachsten Wesen (also z.B. im Atom) nicht wirklich getrennt wären. 

Materialistische Ansätze sehen nach Steiner das Denken im Gehirn ähnlich wie die Verdauung im Darm zustande kommen. Damit wäre das Problem allerdings nur verlagert, da nicht erklärt werden kann, wie die Materie dazu kommt über ihr eigenes Wesen nachzudenken. 

Im Spiritualismus hat die Materie keine eigene Daseinsberechtigung mehr, sie wird als Produkt des Geistes aufgefasst. Problem dabei ist, dass nun die (materielle) sinnliche Welt der geistigen ohne Verbindungsmöglichkeit gegenüber steht. Spätestens beim Handeln gibt es keine Lösung, da der Mensch seine Absichten ganz un-geistig vermittelt über materielle Stoffe und Kräfte umsetzen muss. Für diese Denkrichtung benennt Steiner Johann Gottlieb Fichte als extremen Spiritualisten, der „das ganze Weltgebäude aus dem „Ich““ abzuleiten versucht und sich damit als absoluter Idealist darstellt. Dieses „großartige Gedankenbild“ (S. 27) bleibt allerdings ohne jeden Erfahrungsinhalt, somit handlungsunfähig.  

Dass der Mensch das Wirken des „Ich“ zunächst in der gedanklichen Vorstellung einer Ideenwelt wahrnimmt, wenn der Fokus der Betrachtung auf das innere Seelenleben gerichtet wird, besteht die Gefahr, dass diese Ideenwelt nicht als Zugang zur geistigen Innenwelt gesehen wird, sondern als diese selbst wahrgenommen wird, mit der Folge, dass sich die Wirksamkeit des „Ich“ nur noch sozusagen in Stasis auf sich selbst verwiesen ist. 

(Querverweis auf die integrale Philosophie Ken Wilbers: damit wird die Landkarte reduktionistisch als das Land selbst wahrgenommen.) 

Zu der dritten Variante des Monismus fragt Steiner, wie das einfache Wesen (das Atom) dazu kommt, sich in zweifacher Weise darzustellen, wenn es doch eigentliche eine Einheit ist. 

Steiner ist es nun wichtig, allen Standpunkten gegenüber klarzustellen, dass der Mensch es selbst ist, der sich seiner Natur gegenübergestellt sieht, dass also der grundsätzliche Gegensatz in unserem Bewusstsein stattfindet. Soweit wir uns auch unseren natürlichen Wurzeln entfremdet haben, fühlen wir trotzdem immer noch die Verbindung und Zugehörigkeit zu ihr (vgl. S. 29). 

Steiner sagt eindringlich dazu: „Es kann nur ihr eigenes Wirken [der Natur] sein, dass auch in uns lebt. Wir müssen den Weg zu ihr zurück wieder finden.“ Und weiter: „Wir haben uns zwar losgerissen von unserer Natur, aber wir müssen doch etwas mit herübergenommen haben in unser eigenes Wesen. Dieses Naturwesen müssen wir in uns aufsuchen, dann werden wir den Zusammenhang auch wieder finden“ (S. 29). 

Das Erkennen des Naturgleichen in uns selbst, lässt uns den Weg zurück zur der uns äußeren Natur finden. Dazu müssen wir also unser inneres Wesen erforschen. 


Teil 1.3: Wissenschaft der Freiheit – Das Denken im Dienste der Weltauffassung 

In diesem Kapitel kehrt Steiner wieder zurück zu der Frage nach den Ursprüngen des Denkens. 

Am Beispiel einer gestoßenen Billardkugel, die eine weitere anstößt, zeigt Steiner zunächst den Unterschied zwischen einer einfachen Beobachtung und dem Nachdenken über den Beobachtungsinhalt, also einer Bildung von Begriffen, die reflektierend in den Zusammenhang und Verbindung mit anderen Begriffen (z.B. Kugel, Elastizität, Geschwindigkeit, Bewegung, Stoß, Kraft u.a.). 

Im Fall des Nachdenkens über den Beobachtungsinhalt sind die Begriffe von dem Denkenden abhängig, der erstere der einfachen Beobachtung vollzieht sich ohne weiteres Zutun des Beobachtenden.  

Steiner stellt fest, dass wir uns immer gezwungen fühlen, über die neutrale Beobachtung hinaus, weitergehende Begriffe in Verbindung zu bringen. Er lässt aber hierbei erst einmal offen, ob dieses Tun eine unabänderliche Notwendigkeit ist. 

Der Mensch ist in jedem Fall der Tätige in diesem Zusammenhang, da die Gegenstände uns nicht ihre Begriffe automatisch und ohne unser Zutun mitliefern.  

Was gewinnen wir bei diesem Vorgang des Begreifens? 

Das begriffliche Auffinden ermöglicht uns die Antizipation von Vorgängen, z.B. der Wirkung eines Stoßes gegen eine Billardkugel, unabhängig von der späteren Beobachtung der Wirkung. Wir können es uns vermittels der Begriffe und ihrer Zusammenhänge vorstellen. 

Dazu stellt Steiner fest: „Beobachtung und Denken sind die beiden Ausgangspunkte für alles geistige Streben des Menschen, insofern er sich eines solchen bewusst ist“ (S. 33). 

„Beim Zustandekommen der Welterscheinungen mag das Denken eine Nebenrolle spielen, beim Zustandekommen einer Ansicht darüber kommt ihm aber sicher eine Hauptrolle zu“ (S.34) 

Nun differenziert Steiner zusätzlich das Denken vom Fühlen. Sie sind nicht gleichgestellt. Denken übt selbst keine Wirkung auf den Menschen aus, es sind also keine Eindrücke wie beim Beobachten. Wenn wir aber das Gefühl , das eine Beobachtung auslöst, und die entsprechenden Begriffe dazu kennen dann lernen wir etwas über unsere Persönlichkeit. 

Alle Erlebnisse und Gegenstände erschließen wir uns durch beobachten und das Denken darüber. Das Denken wird dabei ausgeführt, kann aber nicht gleichzeitig beobachtet werden. Wir können nur nachträglich unsere Denkerfahrungen zum Objekt unseres Denkens machen. 

„Das (gegenwärtige) Denken ist damit das unbeobachtete Element unseres gewöhnlichen Geisteslebens“ (S. 37). 

Steiner bezieht sich im Folgenden auf René Descartes und seinen Satz: Ich denke, also bin ich. 

Denken ist danach der einzige Vorgang, den ich nicht in Zweifel ziehen, dessen wir uns sicher sein können. 

Das Besondere und Eigentümliche des Denkens ist, dass wir es ebenfalls nutzen, wenn wir es selbst zum Gegenstand unserer Beobachtung machen. Wir denken über unser Denken nach. 

Und weil wir das Denken selbst hervorbringen, es also unsere eigene Tätigkeit ist, wissen wir auch, wie und was wir da tun.  

In Bezug auf den Denkprozess ergibt sich daher für Steiner eine durchsichtige Klarheit. 

Diese Klarheit ist aber phänomenologisch, also durch die (nachträgliche) Beobachtung unserer Denkprozesse und unabhängig von den physiologischen Grundlagen des Denkens, also von dem, was sich z.B. dazu in unserem Hirn dazu messen lässt oder wie unser Gehirn aufgebaut ist. 

Wenn wir über unser begriffliches Denken über einen ohne unser Zutun gegebenen Gegenstand hinausgehen, stellen sich Steiner die folgenden Fragen: 

Was gibt uns das Recht dazu? 

Warum lassen wir den Gegenstand nicht einfach auf uns einwirken? 

 Wie und auf welche Weise ist ein Bezug meines Denkens zu einem Gegenstand möglich? (vgl. S. 43) 

Diese Fragen stellen sich nicht, wenn wir unser eigenes Denken der Gegenstand ist, denn hierbei fügen wir nichts „Fremdes“ hinzu, wie z.B. einen Begriff bei einem uns äußeren Gegenstand des Denkens. 

Im Gegensatz zum Naturphilosophen Schelling bestreitet Steiner, dass Erkenntnisprozesse Natur schaffen können. Der Schaffensprozess liegt vor der Möglichkeit seines Erkennens. Also muss die Natur schon geschaffen sein, bevor wir sie durch Denken erkennen können. 

Wir sind am Zustandekommen der äußeren, natürlichen Dinge und Gegenstände nicht beteiligt, wir finden sie vor und versuchen sie zu begreifen. Das Denken dagegen ist unser eigenes Tun, von dem wir wissen wie es geht: Denken schafft sich daher selbst. (vgl. S. 45) 

Da wir unserem unmittelbaren Denken nicht entkommen können und wir Denkprozesse nur nachträglich zum Gegenstand dieses Denkens machen können, ist Denken für Steiner der Ausgangspunkt seiner Weltbetrachtung. 

Denken ist für ihn der archimedische Hebelpunkt, der durch sich selbst getragen wird und damit als Ausgangspunkt für das Begreifen unserer Welt genommen werden kann. 

Ein weiterer Aspekt des Denkens ist, dass es sich in der Weltentwicklung um die höchste, also auch die späteste Form handelt. Daher können wir nicht beim Begreifen von den Anfängen des Daseins ausgehen, sondern müssen von dem Gegenwärtigen ausgehen, d.h. uns vom Späteren ausgehend das Frühere zu erschließen versuchen. 

Die Aufgabe der „Philosophie der Freiheit“ sieht Steiner darin zu zeigen, „inwiefern die Anwendung des Denkens auf die Welt eine richtige oder falsche ist“ (S. 49). 

In dem Zusatz von 1918 zu diesem Kapitel unterscheidet Steiner das tätige Denken von „Gedankenbildern“, die als vage, zuweilen traumhafte Eingebungen der menschlichen Seele. Tätiges Denken ist grundsätzlich immer gewollt, „Gedankenbilder“ sind vom Wollen unabhängig, sie erscheinen. 

„Die unbefangene Beobachtung ergibt, dass nichts zum Wesen des Denkens gerechnet werden kann, was nicht im Denken selbst gefunden wird. Man kann nicht zu etwas kommen, was das Denken bewirkt, wenn man den Bereich des Denkens verlässt.“ (S. 51) 


Teil 1.4: Wissenschaft der Freiheit – Die Welt als Wahrnehmung 

Wenn ein Gegenstand beobachtet wird, so erzeugen wir durch das Denken ein ideelles Gegenstück, den Begriff, den wir dem Gegenstand als zugehörig ansehen. 

Das ideelle Gegenstück bleibt bestehen, auch wenn der Gegenstand aus unserer Beobachtung verschwindet. 

Erfahrung ist die Summe unserer Begriffe. Wir beziehen uns also auf ein Gesamtsystem von Begriffen. 

Ideen dagegen sind inhaltsvollere, gesättigtere bzw. umfangreichere Begriffe. 

Ursache und Wirkung können nicht direkt durch Beobachtung erkannt werden, sondern erst durch Nachdenken über die durch Begriffe erweiterte Beobachtung. (Steiner gibt hier das Beispiel eines Geräuschs, dessen Wirkung wir nicht allein durch das Hören erfassen können. (vgl. S. 54) 

Im menschlichen Bewusstsein werden daher Begriffe und Beobachtung miteinander verknüpft. 

„Weil er [der Mensch] sein Denken auf die Beobachtung richtet, hat er Bewusstsein von den Objekten, weil er sein Denken auf sich richtet, hat er Bewusstsein seiner selbst oder Selbstbewusstsein“ (S.55)  

Der denkende Mensch erscheint sich selbst als ein tätiges Subjekt, weil er zu denken vermag. 

Steiner stellt nun die Frage: Wie entsteht die Beziehung zwischen Beobachtungselement und Begriff durch unser Denken?  

Er definiert Wahrnehmung als durch das bewusste Subjekt zur Kenntnis genommene unmittelbare Erfahrungselemente. 

Jede Erweiterung der Erfahrung, also jede Änderung der Perspektive unserer Wahrnehmung, führt zu Veränderungen im Wahrnehmungsbild unserer Welt. 

Die Wahrnehmung ist nicht nur geprägt durch die Perspektive, die wir einnehmen, (Steiner nennt diesen Aspekt ‚mathematische Abhängigkeit‘), sondern auch durch die körperliche und geistige Disposition (‚qualitative Abhängigkeit‘). 

Der Philosoph George Berkeley schließt aus dieser Disposition, dass es keine Realität der Gegenstände außerhalb unserer Wahrnehmung gibt. Sie verschwinden ohne unsere Wahrnehmung und haben also keinen Sinn ohne sie. 

Gegen diese Vorstellung spricht aber laut Steiner, dass wir uns unserer Wahrnehmung selbst bewusst sind, also wissen, wie die Wahrnehmung von Gegenständen zustande kommt. 

„Ich sehe nicht nur einen Baum, sondern ich weiß auch, dass ich es bin, der ihn sieht. Ich erkenne auch, dass in mir etwas vorgeht, während ich den Baum beobachte“ (S.62). 

Für mein Bewusstsein bleibt ein Rückstand, eine Einprägung, ein Eindruck des Bildes von einem Baum. Die Vorstellung eines Baumes wurde damit erweitert. 

Steiner unterscheidet nun weitergehend die Gegenstände, die sich meiner Wahrnehmung gegenüberstellen, als Außenwelt, von den Inhalten meiner Selbstwahrnehmung als Innenwelt

Der Philosoph Berkeley kennt nur Gott als Auslöser für unsere Wahrnehmungen und die menschlichen Geister, die die Gegenstände durch Wahrnehmung erzeugen. (vgl. S. 64) 

Dem stellt Steiner die Position Kants gegenüber, der die Realität von Gegenständen außerhalb unserer Wahrnehmung annimmt, wobei wir aber diese nicht an sich, sondern nur vermittelt unserer Sinne erkennen können. Das Subjekt kann also keine Vorstellung von den Objekten an sich gewinnen. 

Unser Wissen beschränkt sich damit auf unsere Vorstellungen. Und demnach ist alles, was über unsere Vorstellungen hinaus geht, grundsätzlich bezweifelbar. 

Eduard von Hartmann bringt das noch genauer auf den Punkt: Unsere Sinne liefern uns nicht die Gegenstände der Außenwelt, sondern nur unsere eigenen Zustände, sozusagen nur Messwerte unserer Sinne, die uns auch nur definierte Reaktionen z.B. Lichtwahrnehmung durch den Sehnerv, oder Druckwahrnehmung durch den Tastsinn usw. zurückliefern. 

Der Weg geht vom äußeren Gegenstand über die Wahrnehmung der gereizten Sinne (Gehirn) und ihrer Rückmeldungen (Eindruck), dem Zusammensetzen der verschiedenen Rückmeldungen (Seele, Denken, Geist) zu letztendlichen Vorstellungen, die dem Bewusstsein dann gegeben sind. Die Vorstellung von einem Objekt hat also bereits eine Reihe von Wandlungen durchlaufen, sie ist dem Objekt nicht gleichzusetzen. 

Nach dieser naiven Vorstellung geht der äußere Gegenstand der Beobachtung  auf seinem Weg durch das Gehirn zur Seele vollständig verloren. 

Steiner entlarvt diese Vorstellung als Zirkelschluss am Beispiel des Farbsehens, bei dem die Farbe zunächst in der Wahrnehmung nicht vorhanden ist und erst durch die gedanklichen Operationen in der Seele hervorgerufen wird, sie ist also nicht im wahrnehmenden Auge, nicht im Sehnerv, nicht im Gehirn, sondern erst in der Seele, dort aber abgetrennt vom eigentlichen farbigen Gegenstand.  

Steiner bemerkt dazu: „ich glaube das als Erzeugnis meiner Seele zu erkennen, was der naive Mensch sich draußen im Raume vorhanden denkt“ (vgl. S. 70).  

Der Gedankengang zeigt nun seine vollständige Unmöglichkeit, da keine Wahrnehmung durch das Sinnesorgan gegeben ist, aber umgekehrt auch kein Sinnesorgan ohne Wahrnehmung (vgl. S. 71). Damit fallen die Positionen des naiven Realismus für Steiner als Erklärungsmöglichkeit aus. 

Steiner unterscheidet nun die äußere Beobachtung (von der sinnlichen Wahrnehmung bis zu physiologischen Vorgängen im Gehirn, heute wären das Messungen der modernen Hirnforschung, und die innere Beobachtung, die nachfolgend von der Empfindung bis zur denkenden, begrifflichen Verarbeitung der Empfindungselemente reicht. 

Er kritisiert nun auch die Denkart des kritischen Idealismus, die nicht nur die beiden beschriebenen Beobachtungsbereiche durcheinander wirft, sondern auch keine Verbindung zwischen ihnen findet. 

Auch gegenüber der Aussage des Philosophen Schopenhauers „Die Welt ist meine Vorstellung“, entgegnet Steiner, dass die auch die Wahrnehmungsorgane, z.B. Auge und Hand, Vorstellungen von uns sind wie die Wahrnehmungsgegenstände selbst (wie z.B. Sonne und Erde, die gesehen oder gefühlt werden (vgl. S. 74). 

Damit erscheint Steiner der kritische Idealismus als völlig ungeeignet, eine Ansicht über das Verhältnis von Wahrnehmung und Vorstellung zu erreichen (vgl. ebd.). 


Teil 1.5: Wissenschaft der Freiheit – Das Erkennen der Welt 

Wir können nicht beweisen, dass unsere Wahrnehmungen Vorstellungen sind, wenn wir nur unsere Beobachtungsinhalte untersuchen. 

Wir können die Dinge an sich also nicht erkennen, sondern nur ihre gedanklichen Spiegelbilder. Dann gibt es nur die Möglichkeit aus deren Verhalten Rückschlüsse auf die Beschaffenheit der Ersteren zu ziehen. 

Da der kritische Idealist die Wirklichkeit der Dinge an sich entweder leugnet oder sie einer transzendenten Welt zuschreibt, von der wir eigentlich nichts wissen können, verbannt er sie in eine Art Traumwelt. Die Erkenntnis der wahren Tatbestände käme dann einem Erwachen gleich, nach dem dann nach den physikalischen, physiologischen oder psychologischen Grund dieser Traumbilder gefragt wird. 

An dieser Stelle kommt für Steiner nun wieder das Denken ins Spiel. Im Wachzustand haben wir die Möglichkeit, die Gründe des Traumzustandes zu hinterfragen, durch das Denken haben wir die Möglichkeit das wache Bewusstseinsleben zu erforschen. 

Damit stellt sich Steiner die Frage, wie sich das Denken zur Wahrnehmung verhält. 

Steiner schreibt: „Zwischen die Wahrnehmung und jede Art von Aussage über dieselbe schiebt sich das Denken ein“ (S. 80). Für ihn ilden Wahrnehmung und Begriffsbildung durch Denken eine erkenntnistheoretische Einheit. 

Der Mensch mit seiner Wahrnehmung ist ein eingeschränktes Wesen in Raum und Zeit, daher erscheinen uns in dieser Beschränktheit Gegenstände in einer Einzelheit, die in Wahrheit Teile einer Ganzheit sind. 

Wir sind als Mensch nur Teil, aber nicht identisch mit dem Weltprozess, wir sehen Dinge, Gegenstände und andere Menschen in Teilwahrnehmungen abgesondert, nie als Ganzes. 

Daher ist die Bestimmung unserer Beziehungen zu anderen Wesenheiten neben unserer Selbstwahrnehmung von besonderer Bedeutung. 

Steiner führt dazu aus: “ Ich bin eingeschlossen in das Gebiet, das ich als das meiner Persönlichkeit wahrnehme, aber ich bin Träger einer Tätigkeit, die von einer höheren Sphäre aus mein begrenztes Dasein bestimmt“ (S. 85) 

Die genannte Tätigkeit bezeichnet das Denken, das er als nicht individuell wie unser Empfinden oder Fühlen. Allgemeine Begriffe und kulturelle Codes sind danach universell, werden nur individuell durch Empfinden und Fühlen geprägt als besondere Färbungen des universellen Denkens. 

In unseren Empfindungen sind wir einzelne, durch das Denken werden wir zu einem Ganzen zusammengeschlossen, das Steiner als das all-eine Wesen bezeichnet. 

Der Mensch ist also sowohl Individuum als auch Teil des gesamten Weltprozesses. Er benötigt das Denken, Steiner benutzt hier den Begriff „Trieb der Erkenntnis“, um diese beiden Aspekte zusammenzubringen. 

Die Wahrnehmung von Gegenständen in der Welt geschieht von außen, Begriffe von den Gegenständen werden dagegen von innen empfangen. Begriffsbildung ist demnach ein innerer Prozess. 

Zur Erkenntnis unserer Wirklichkeit gehören notwendig auf der einen Seite die Wahrnehmung und auf der anderen die Begriffe (S. 87). 

Der ideelle Inhalt (das System von Begriffen und Ideen) ist nach Steiner daher das einzig Gemeinsame der beschränkten Einzelwesen der Welt, die wir Menschen darstellen. 

„Nicht ein menschlich-persönlicher Gott, nicht Kraft oder Stoff noch der ideenlose Wille (Schopenhauers) können uns als eine universelle Welteinheit gelten“ (S. 87). 

Wir (die Menschen) wissen von unserer äußeren Welt nur über unsere inneren Vorstellungen darüber. 

Im Folgenden geht es Steiner nun darum, die Vorstellungen des Menschen und das Verhältnis der Vorstellungen zur äußeren Welt zu klären.  


Fortsetzung folgt…

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